Diagnose: Abbau von Barrieren

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Fotograf: Clemens Bernhard

Fotograf: Clemens Bernhard

Drei Stufen am Eingang eines Geschäfts in der Innenstadt – Fußgängern fallen sie kaum auf, für Rollstuhlfahrer stellen sie eine zunächst unüberwindbare Barriere dar. Auch Christoph Etzlstorfer sind solche Stufen 17 Jahre lang nicht aufgefallen, dann hatte er jedoch einen Unfall im Schulsport. Im Krankenhaus wurde eine Querschnittslähmung auf Höhe des siebten Halswirbels festgestellt. Bei einer Querschnittslähmung kommt es zu einer Schädigung des Rückenmarks, wobei die Nervenbahnen geschädigt werden. Dabei müssen aber nicht alle Nerven betroffen sein, sodass z. B. die Nerven, die die Sensibilität vermitteln, erhalten bleiben können. Dies hat zu Folge, dass zwar eine Lähmung der Muskulatur vorliegt, aber noch Gefühl in z. B. den Beinen vorhanden ist. Entscheidend ist bei einer Querschnittslähmung, auf welcher Höhe diese stattfindet. Christoph wird zu den Tetraplegikern gezählt: da es bei ihm zu einem Querschnitt auf Höhe des siebten Halswirbels kam, ist sowohl die Muskulatur in den Beinen als auch teilweise in den Armen (den Händen) gelähmt. Es wird auch von einem „hohen Querschnitt“ gesprochen.

 

Heute ist Barrierefreiheit für Christoph daher ein Thema. Seit 40 Jahren stellt er fest, dass noch längst nicht alles barrierefrei ist. Doch nicht nur diese Entwicklung kann er einschätzen, auch die Entwicklung der Paralympics hat er miterlebt. Fast 30 Jahre lang gehörte er in der Leichtathletik und beim Handbiken zur Weltspitze.

Hallo Christoph, toll, dass wir heute miteinander sprechen können – herzlichen Dank dafür! Du bist nicht von Geburt an querschnittsgelähmt, sondern Du hattest beim Schulturnen einen Unfall. Was ist da passiert?

 

Christoph Etzlstorfer: Die ersten 17 Jahre meines Lebens war ich noch zu Fuß unterwegs. Mit fast schon 18 sprangen wir im Schulturnen Salti, das konnte ich damals schon ganz gut, eigentlich. An diesem Freitagvormittag aber scheinbar zu gut, denn ich machte nicht eine Drehung, sondern eineinhalb und stürzte Kopf voran auf die Matte. Dort blieb ich liegen und konnte nicht mehr aufstehen. Mit der Rettung wurde ich ins Spital gebracht – dort war die Diagnose dann Querschnittslähmung auf Höhe des siebten Halswirbels.

 

Wie ging es aus medizinischer Sicht weiter?

 

Christoph Etzlstorfer: Ich war insgesamt einen Monat im Krankenhaus. Unmittelbar nach der Einlieferung wurden zunächst die Haare abrasiert und seitlich am Kopf zwei kleine Löchlein gebohrt, um einen Bügel befestigen zu können. Beim Unfall hatte sich der siebte gegen den sechsten Halswirbel verschoben und der siebte war gebrochen. Durch diesen Bügel und ein Gewicht, das daran gehangen wurde, hat man den Bruch wieder auseinander gezogen. In den ersten zehn Tagen wurde ich alle drei Stunden gedreht – von Rücken- auf Bauchlage und umgekehrt. Danach wurde ich operiert, wobei eine Platte eingesetzt wurde. Ich lag dann noch drei weitere Wochen im Krankenhaus und kam schließlich in ein Rehazentrum. In der Zeit im Krankenhaus war es für mich immer noch so, dass ich dachte, dass es vorüber gehen würde. Da ist es bei mir sicherlich noch nicht durchgesickert, dass dies nun ein finaler Endzustand ist (lacht), sondern ich dachte mir, dass wenn man sich ein Bein bricht, man einige Wochen einen Gips hat und danach wieder alles wie vorher ist… Ich war immer noch der Meinung, dass alles wieder wird. Ich weiß rückblickend nicht mehr, ob die Ärzte mir es nicht klar genug kommunizierten oder ob ich es einfach nicht aufnehmen konnte. Das ist bei Krisen ein ganz allgemeines Thema, dass man einfach nicht in der Lage ist zur Kenntnis zu nehmen, dass nun etwas anders ist.

 

Du warst erst 17 Jahre alt, als Du den Unfall hattest. Wie geht man als junger Mensch mit einer solchen Situation um?

 

Christoph Etzlstorfer: Gar nicht zunächst einmal. Mittlerweile glaube ich, dass die Ärzte mir es tatsächlich nicht klar kommunizierten. Es sind ein paar Nervenbahnen erhalten geblieben – ich bin sensibel inkomplett, aber motorisch komplett querschnittsgelähmt –, da bestand schon die Meinung, dass vielleicht noch mehr zurückkommt. Das bewahrheitete sich aber nicht. Erst nach einigen Wochen im Rehabilitationszentrum, wo ich immer noch dachte, dass ich wieder laufen würde, sagte mir ein Physiotherapeut, dass es ziemlich unwahrscheinlich, nicht unmöglich, aber doch sehr unwahrscheinlich, sei, dass ich wieder gehen werde. Er meinte, dass ich erst Rollstuhl fahren lernen solle und wenn ich auch noch gehen lernen sollte, ich mich sehr freuen könne – wenn aber nicht, könne ich wenigstens Rollstuhl fahren. Das war eher so die harte Tour (lacht). Viele Jahre später fragte ich ihn, ob er das bei allen Patienten so mache. Er meinte, dass er das nicht bei allen so machen würde – er suche sich das aus (lacht). Er konfrontierte mich beinhart mit der Realität. Scheinbar war ich auch schon soweit, dass es tatsächlich durchsickerte. Fakt ist, dass ich ziemlich schnell danach anfing, etwas zu tun. Erst dann nahm ich die Reha auch ernst und strengte mich an. In den nächsten Monaten lernte ich alles. Die normalen Aufenthaltenszeiten waren damals zwischen acht und zwölf Monaten, ich war nach viereinhalb Monaten wieder draußen. Das hing einerseits damit zusammen, dass ich mich schließlich anstrengte und ein Ziel hatte. Andererseits war es aber auch viel Glück. Ich hatte keine Komplikationen, urologisch funktionierte es schnell und ich hatte sonst keine Verletzungen, wie es oft bei Autounfällen ist. Ein weiterer wichtiger Faktor war viel Unterstützung durch meine Familie, Freunde, Schulkollegen. Die können mir die Aufarbeitung der Situation zwar nicht abnehmen, aber doch wesentlich erleichtern.

Was kannst Du Medizinstudierenden aus Deinen Erfahrungen mit ÄrztInnen mitgeben?

 

Christoph Etzlstorfer: Wahrscheinlich das, was Medizinstudierende oft genug hören: Patienten sind nicht einfach nur Fälle, sondern es sind Menschen. Für den Patienten, der sich vor wenigen Tagen eine Querschnittslähmung zugezogen hat (ich sage bewusst nicht „erlitten hat“), bricht gerade eine Welt zusammen. Er weiß überhaupt nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Wenn der Mensch Bauarbeiter war und sich seine Wohnung im zweiten Stock eines Hauses ohne Lift befindet, bricht sein Leben gerade zusammen. Da ist es verständlich, dass er auch einmal grantig ist.

Vielen Dank für diese Einschätzung. Ich denke, dass man solche Hinweise nicht oft genug hören kann. Gedanklich ist es für mich von Deiner Reha bis hin zum Leistungssport noch ein weiter Weg. Wie verlief dieser?

 

Christoph Etzlstorfer: Vor meinem Unfall machte ich ein wenig Sport, nichts Organisiertes in einem Verein. Neben der Schule war nicht mehr viel Zeit für organisierten Sport, aber ich bewegte mich doch immer. Im Rehabilitationszentrum meinten ein Sportler, der dort zur Erholung war, und die Sportlehrer, dass ich vielleicht gut für Sport geeignet wäre, da ich relativ groß bin. Als ich noch zu Fuß unterwegs war, maß ich 1.93m in Kombination zu langen Armen und guten Hebeln. Im Rahmen der Reha macht man als Maßnahme viel Sport. Als ich nach Hause kam, führte ich das fort. Ich ging eben nicht mehr joggen, sondern fuhr mit dem Alltagsrollstuhl herum – im Sinne des Fitnessgedankens. Über die Kontakte aus dem Rehazentrum nahm ich an einem lokalen Wettkampf teil und dort merkte ich, dass mir das taugt. Ich wurde auch nicht überall letzter – das war auch ein zusätzlicher Anstoß (lacht). Ich machte ein wenig mehr und noch ein wenig mehr und noch ein wenig mehr. Über die Zeit wuchs ich in den Sport hinein. Es war ein Prozess hin zum Leistungssport. Da hatte ich auch wieder Glück, dass ich das Training aushielt. Ein Jahr nach dem Unfall hielt ich schon zwei Trainingseinheiten am Tag aus – mit 20 schafft man das noch (lacht).

 

1984 erlebtest Du Deine ersten paralympischen Spiele, 2012 in London die letzten. Mittendrin bist Du von der Leichtathletik zum Handbiken gewechselt. Warum denn das?

 

Christoph Etzlstorfer: In den zwanzig Jahren, in denen ich Leichtathletik gemacht habe, war es schon immer eine Entwicklung. Ich fing mit Speerwurf und Kugelstoßen, Diskuswerfen und den Sprintdisziplinen an. Von diesen explosiven, schnellkräftigen Bewerben entwickelte ich mich nach und nach in Richtung Langstrecke. Ab 1989 konzentrierte ich mich auf das Rennrollstuhlfahren und arbeitete mich nach und nach hinauf zu immer längeren Strecken. Nach den Spielen 2000 in Sydney kamen zwei Faktoren zusammen: ich war schon ganz klar auf der Langdistanz. Damals fuhr ich im Training auch schon mit dem Handbike, um noch eine weitere Ausdauerbelastung zu haben. Ich sah 2000 aber nicht mehr, was ich noch tun kann, um die nächste Entwicklungsstufe im Rennrollstuhlfahren zu erreichen. Damals hatte ich auch schon eine Trainerausbildung absolviert, sodass ich auch viel Hintergrundwissen hatte. Zu genau dieser Zeit wurde Handbiken immer interessanter: mehr Rennen, mehr Teilnehmer. 2002 dachte ich, dass ich mit dem Handbike ein Rennen fahre. Es war eine boomende Sportart – auch in den Tetraklassen, in denen ich starte, waren immer mehr Teilnehmer. Aber das Leistungsniveau war noch nicht so hoch. Dadurch war es mit meinem Trainingsniveau ein grandioser Umstieg: das erste Europacuprennen gewann ich gleich. Auch jetzt fahr ich immer noch fitnessmäßig mit dem Rennrollstuhl, so wie Radfahrer nebenbei laufen gehen.

 

Aus dem Marathontraining kenne ich klar strukturierte Trainingspläne. Können diese eins-zu-eins auf das Training mit dem Rollstuhl oder dem Handbike übertragen werden?

 

Christoph Etzlstorfer: Man macht auch sehr strukturiertes Training: mit Intervall- und Tempoläufen, langen Longjoggs (die langen Läufe für die Grundlagenausdauer). Aber es ist für einen Rennrollstuhlfahrer oder auch einen Handbiker sicherlich viel kraftbetonter. Es gibt schon Unterschiede, aber es ist alles Ausdauertraining, nur mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

 

 

„Patienten sind nicht einfach nur Fälle, sondern es sind Menschen.“

~ Christoph Etzlstorfer wünscht sich von MedizinerInnen mehr Verständnis für PatientInnen.

 

 

Ganz nebenbei hast Du auch noch Rollstuhlrugby gespielt. Hat Dir die Leichtathletik und das Handbiken nicht gereicht?

 

Christoph Etzlstorfer: Rollstuhlrugby war für mich immer nur ein Just for fun. Auch wenn ich bei österreichischen Meisterschaften mit meiner Mannschaft bzw. meine Mannschaft mit mir recht erfolgreich war. Ich war eben konditionell sehr gut trainiert, alleine dadurch hatte ich einen Vorteil gegenüber den meisten Spielern. Aber ich brauchte immer ziemlich lange, um zu kapieren, wo ich fahren muss oder wie die Passwege sind (lacht). Ich spielte es mit Begeisterung, weil es ein Mannschaftssport ist. Leichtathletik und Hanbiken sind Sportarten, die man alleine trainiert. Rugby war dann einmal, zweimal in der Woche zum Austoben. So wie jemand ohne Behinderung sonntags im Park Fußball spielen geht.

 

Bei so vielen Jahren im paralympischen Sport konntest Du die Entwicklung selbst erleben. Welche sind Dir besonders aufgefallen?

 

Christoph Etzlstorfer: In dieser Zeit war die Entwicklung, was die Öffentlichkeit angeht, ganz gewaltig. Ich weiß nicht, ob 1984 unsere Berichte schon im Sportteil waren oder noch im Lokalteil unter Vermischtes. Aber mit Seoul 1988 war es schon besser und 1992 Barcelona war ein Meilenstein in puncto Aufmerksamkeit. Auch die Spiele in Sydney 2000 waren sehr sehr gut. In den drei oder vier Monaten rund um die Paralympics gibt es meistens mehr Berichte als in den vier Jahren dazwischen. Es konzentriert sich alles immer sehr auf die Spiele, alles andere geht dazwischen immer wieder unter.

Was leider eine schlechte Entwicklung ist, ist, dass die Sportarten für die schwerer Behinderten wie z. B. für uns Tetraplegiker immer mehr unter die Räder kommen. Im Laufe der letzten Paralympics wurden diese Bewerbe immer weiter reduziert, sodass es für Sportler ab Höhe C5 (Querschnitt auf Höhe des fünften Halswirbels) nur noch sehr selektiv Bewerbe gibt. Beim Rennrollstuhlfahren gibt es noch ein oder zwei Distanzen – das ist mehr alibimäßig. Es geht ansonsten eher darum, die schnellsten – also die mit der geringsten Behinderung – mehr zu zeigen.

Bei der Para-Europameisterschaft der Leichtathletik in Berlin ist mir das auch schon aufgefallen, wobei auch die Starterfelder in diesen Klassen kleiner waren.

 

Christoph Etzlstorfer: Das mit den kleinen Teilnehmerfeldern wird diesen Gruppen immer vorgeworfen. In diesem Jahr hatten wir die Paracycling-Europameisterschaften in Oberösterreich. Bei den schwerer Behinderten waren sehr wenig Teilnehmer. Was dabei aber immer wieder übersehen wird – auch von den Teilnehmer mit weniger Behinderung, bei denen 20 Teilnehmer sind: wenn ein Paraplegiker Handbiken beginnt, kann er irgendein Bike nehmen und ausprobieren. Wenn ein Tetraplegiker ohne Fingerfunktion und ohne Trizepsfunktion Handbiken beginnen möchte, braucht er ein speziell adaptieres Handbike mit speziellen Handschuhen oder Orthesen, damit er überhaupt kurbeln kann. Diese Orthesen kosten zwei- bis dreitausend Euro. Er braucht bei jedem Training Unterstützung: jemanden, der ihm in das Bike hineinhilft und wieder heraushilft, was ein Paraplegiker nicht braucht. Die Sportler, die es dennoch bis zu den Wettkämpfen schaffen, sind alleine schon weil sie dabei sind, eine Elite. Sie haben es geschafft, diese ganzen Hindernisse zu überwinden. Da ist es naheliegend, dass in diesen Klassen weniger Teilnehmer dabei sind. Ich habe schon einige hohe Tretraplegiker beim Einstieg ins Para-Cycling begleitet, wo ich sah, wie sie ein Hindernis nach dem anderen abbauen mussten.

Das sind die Hindernisse im Leistungssport. Wo gibt es denn für Dich Hindernisse im Alltag? Oder anders gefragt: wie barrierefrei ist Dein Leben?

 

Christoph Etzlstorfer: Ich habe oft den Eindruck, dass man ganz allgemein meint, dass seit Jahrzehnten über Barrierefreiheit gesprochen würde und es daher schon lange umgesetzt sein müsste. Als ich vor 40 Jahren in den Rollstuhl kam, war sehr vieles nicht barrierefrei. Die Schule schloss ich ab – die war zufällig barrierefrei. Durch den Hintereingang beim Werkstättentrakt konnte ich stufenlos ins Gebäude kommen. Drinnen gab es einen Lift für die Lehrer, für den ich auch einen Schlüssel bekam. Die Uni war zum Teil damals barrierefrei – auch da war es wieder das Glück. Der Teil, in dem ich am meisten war, war zum großen Teil barrierefrei. Es gab aber auch große Teile der Uni, die ich nur erreichte, weil mich die Kollegen die Stufen hoch trugen.

Wenn ich die Gegenwart betrachte: wenn ich z. B. bei uns in Linz im Zentrum – keine ganz kleine Stadt, für Österreich sogar eine recht große Stadt (lacht) – unterwegs bin, geht vieles barrierefrei. Sobald ich aber von der Hauptstraße wegkomme, sind fast vor jedem Geschäft Stufen. Jetzt weiß ich natürlich, wo ich hingehen kann. Da fällt es mir nicht mehr so auf, was nicht barrierefrei ist, da ich das ausblende. Wenn ich aber in einer anderen Stadt unterwegs bin, z. B. gelegentlich in Wien, fängt das Suchen oft wieder an: wo finde ich eine Pizzeria ohne Stufen beim Eingang? Dann habe ich eine Pizzeria ohne Stufen gefunden: wo sind die Toiletten? Im Keller oder irgendwo im letzten Winkel des Lokals – da ist immer noch sehr viel zu tun. Am deutlichsten ist mir das aufgefallen, wenn ich eine Zeit lang sportlich in den USA oder in Kanada unterwegs war: dort konnte ich davon ausgehen, dass ich in das Lokal, in das Kino, in das Einkaufszentrum hineinkomme und auch auf die Toilette komme. In Österreich, aber auch in Deutschland ist noch viel zu tun.

Kann ich daraus schlussfolgern, dass Barrierefreiheit damit vom Willen eines jeden Einzelnen abhängt?

 

Christoph Etzlstorfer: An sich gibt es Gesetze, die Barrierefreiheit umsetzen. Wenn ich an das österreichische Gesetz denke, bedeutet es für mich vor allem Aufwand: ich muss erst ein Gespräch mit dem z. B. Ladenbesitzer anstreben und ihm mein Anliegen vortragen. Danach kann ich klagen. Dabei kann ich jedoch gar nicht darauf klagen, dass diese Barriere behoben wird, sondern ich kann für mich nur Schadensersatz einklagen; dafür dass ich dieses Lokal nicht nutzen kann. Aber das bedeutet nicht, dass auch tatsächlich etwas für andere getan wird. Solange Barrierefreiheit in den Köpfen mit hohen Kosten zusammenhängt, wird sich nicht viel ändern. Ich habe ein Paradebeispiel dafür: ein Postamt mit einem speziellen Eingang. Dieser ist nicht asphaltiert, sondern mit Kopfsteinen gepflastert.

Ungefähr ein Viertel des breiten Eingangs ist als Rampe ausgeführt, die anderen drei Viertel bestehen aus einer zehn Zentimeter hohen Stufe. Für den Architekten war ein Eingang ohne Stufe offensichtlich nicht vorstellbar. In diesem konkreten Fall kostete diese Granitleiste mehr, als wenn man es von Anfang nur als Rampe ausgeführte hätte. Man hat also keine Kosten und Mühen gescheut, um eine Barriere hinzu bauen. Damit führt sich das Kostenargument völlig ad absurdum.

 

Kann ich Dir als Einzelperson im Alltag denn helfen, Barrieren zu überwinden?

 

Christoph Etzlstorfer: Ich werde oft gefragt, wie das mit dem Helfen ist. Hilfe anbieten ist immer okay,  sogar wichtig. Hilfe aufdrängen sollte man aber nicht. Das gilt ganz allgemein für alle Menschen, nicht nur mit Behinderung. Hingehen und fragen, ob man helfen kann. „Ja, bitte.“ - „Wie kann ich helfen?“ Dann funktioniert das. Wenn der Gefragte aber ablehnt, dann bitte nicht beleidigt sein, dass er jetzt keine Hilfe braucht. Ist doch schön, wenn er keine Hilfe braucht. Manchmal kommt vielleicht eine unfreundliche Antwort, aber man muss keine Behinderung haben, um unfreundlich zu sein.

 

Als Redner ist Dir nicht nur Barrierefreiheit ein Anliegen. Worüber sprichst Du noch?

 

Christoph Etzlstorfer: Im wesentlichen habe ich zwei Themenbereiche. Zum einen bin ich für Lehraufträge im Behindertensport an Fachhochschulen oder bei Physiotherapeuten unterwegs. Dabei geht es um die speziellen Aspekte in der Sportmedizin und des Trainings im Behindertensport. Zum anderen halte ich unter dem Oberbegriff „Persönlichkeitsbildung“ für Firmen und Institutionen Vorträge, bei denen es darum geht, wie man mit Krisen und Rückschläge umgeht. Ich breche es dabei immer auf allgemeine Vergleiche herunter. Jeder Mensch hat seine Stärke und Schwächen, egal ob im Sport oder ganz allgemein im Leben. Wenn man sich nur auf die Schwächen konzentriert, kann man ganz leicht ein miserables Leben führen. Selbst wenn man gerade im Lotto gewonnen hat, kann man sich immer noch darüber ärgern, dass in der vergangenen Woche aber jemand einen Doppeljackpot hatte. Da kann man sich gleich wieder mies fühlen. Wenn man sich aber auf die Stärken konzentriert, kann man auch mit vielen Einschränkungen ein positives Leben führen. Bei diesen Überlegungen hilft es sicherlich, wenn man sich vor Augen führt, dass man nicht der einzige „Dumme“ ist, der Schwächen hat. Jeder hat seine Schwächen. Wenn man eine Behinderung hat, kommt noch eine spezielle Schwäche dazu. Sicher kann ich meine Behinderung nicht ausblenden, aber ich kann sie akzeptieren. Wenn man es akzeptiert hat, kann man sehr gut auf das sehen, was man gut kann. Mit diesem System fahre ich jetzt schon etliche Jahre sehr gut (lacht).

 

Ein wunderbares Schlusswort zu einem spannendem Interview – Danke!

 

Das Interview führte Katharina Tscheu.