Diagnose:  Auf zu neuen Ufern

Katharina Bauernschmidt
Katharina Bauernschmidt im Kanu auf der Regattastrecke
Katharina Bauernschmidt unterwegs mit dem Exoskelett

Als Para-Kanutin ist Katharina Bauernschmidt auf den Regattastrecken dieser Welt unterwegs und dabei immer auf der Suche nach neuen Abenteuern und neuen Ufern. Neugierig, unternehmungslustig und experimentierfreudig sind Attribute, die Katharina seit klein auf beschreiben – zur Para-Sportlerin wurde sie erst, nachdem es bei einer routinemäßigen Operation zu Komplikationen und Fehlern kam. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt. Bei einer Querschnittslähmung ist es immer entscheidend, auf welcher Höhe das Rückenmark durchtrennt bzw. geschädigt wurde. Da die Operation auf Höhe der Lendenwirbelsäule (unterer Rücken) durchgeführt wurde, kann Katharina ihren Oberkörper noch kraftvoll einsetzen. Kraft im Oberkörper braucht sie für schnelle und kräftige Paddelschläge auf dem Wasser. Bei den paralympischen Spielen in Tokio führten sie diese auf den sechsten Platz. Doch Katharina ist nicht nur im Kanu und im Rollstuhl unterwegs, sondern kann mit einem Exoskelett die Welt auch gehend erleben.

Hallo Katharina, toll, dass Du heute Zeit für ein Gespräch mit uns hast. Vielleicht gleich zu Beginn eine ganz offensichtliche Frage: warum bist Du im Rollstuhl unterwegs?

 

Katharina Bauernschmidt: 2012 gab es einen Routineeingriff an meiner Lendenwirbelsäule, aber danach veränderte sich mein Leben. Ich war gerade Anfang 20. Als Fußgängerin betrat ich in die Klinik und etwa ein Jahr später verließ ich die Rehaklinik als Rollstuhlfahrerin. Im Rahmen der Operation kam es zu Komplikationen und auch eine Not-Operation konnte die Querschnittslähmung nicht mehr verhindern.

 

Du warst dabei noch sehr jung. Wie reagiertest Du darauf, dass es bei einem Routineeingriff zu Fehlern kam und sich dadurch Dein Leben radikal verändert? 

 

Katharina Bauernschmidt: Für mich brach meine kleine Welt zusammen. Zu diesem Zeitpunkt war ich ehrenamtlich bei der freiwilligen Feuerwehr sehr engagiert und es war mein großer Traum, Berufsfeuerwehrfrau zu werden. Kurz vor dem Routineeingriff begann ich den Bewerbungsprozess bei der Feuerwehr und stand vor dem sportlichen Eignungstest – vorher wollte ich meine Rückenprobleme noch beheben lassen.

Nach dem Eingriff veränderte sich das Verhalten der ÄrztInnen massiv. Ich wurde nur noch von dem operierenden Arzt behandelt, der sich bemühte, für mich alles in die Wege zu leiten. Als Patientin spürte ich aber auch eine Veränderung im Verhalten des gesamten Klinikpersonals. Auch die Pflegekräfte kamen nur noch für die eigentliche Pflege zu mir und sprachen kein Wort zu viel. Für meine Mutter und mich war die Situation ein absoluter Ausnahmezustand. Nach zwei Wochen in der Klinik wurde ich in eine Rehaklinik verlegt, die sich allerdings nicht mit Querschnittslähmungen oder neurologischen Komplikationen auskannten. Das Team dort bemühte sich um mich, aber nach einem Jahr wurde ich ohne eine Rollstuhlversorgung entlassen. Ich war überfordert – und das Rehateam um mich auch. Natürlich suchte ich mir auch eine Rechtsberatung, doch schon in den Klinikunterlagen tauchte das Wort „Komplikationen“ nicht auf und von einer Not-Operation war auch keine Rede. Mein Anwalt erhielt nie die angeforderten Dokumente – die Klinik sagte natürlich, dass alle Dokumente versandt wurden. Aufgrund der umgekehrten Beweispflicht musste ich der Klinik daher nachweisen, dass die Dokumente nicht versandt wurden – ein Ding der Unmöglichkeit. Nach drei Jahren, die für mich psychisch auch sehr belastend waren, beendete ich daher den Rechtsstreit.

 

Nach einem solchen Erlebnis kann ich mir gut vorstellen, dass das Vertrauen in ÄrztInnen nachhaltig erschüttert ist.

 

Katharina Bauernschmidt: 2016 hatte ich eine weitere Operation an der Halswirbelsäule in einem anderen Krankenhaus, bei der es erneut zu Komplikationen kam. Auch hier passierte ein Behandlungsfehler, der durch zwei Gutachten bestätigt wurde. Das Krankenhaus bot gleich an, für den Fehler aufzukommen, allerdings wurde eine niedrigere Entschädigungssumme angeboten. Diese nahm ich schließlich an, da es bei einem gerichtlichen Verfahren möglich gewesen wäre, dass ich gar keine Entschädigung bekomme. Nach dem Verfahrensschluss erhielt ich durch meinen Anwalt meine Akte – es ist schon sehr interessant, was darin alles zu finden ist. Bis heute verwahre ich diese als eine Art „Glücksbringer“ (lacht).

Ich habe nichts gegen ÄrztInnen – im Gegenteil. Dennoch trete ich ÄrztInnen mittlerweile fast skeptisch gegenüber und informiere ich mich ausführlich über die Ärztin oder den Arzt. Zusätzlich hole ich mir lieber eine ärztliche Meinung mehr ein. Durch den Sport kenne ich viele tolle ÄrztInnen, auf die ich angewiesen bin und mit denen ich mich auch privat sehr gut verstehe. Bei ihnen weiß ich, dass ich sie jederzeit anrufen kann und eine ehrliche Meinung sowie Unterstützung bekomme. Dennoch prüfe ich vor anstehenden Eingriffen und Vollnarkosen alles sehr gründlich.

Bildquelle: blackburn Photographie

Bildquelle: blackburn Photographie

Hast Du auf Basis dieser z. T. leider unschönen Erlebnissen einen Tipp für angehende ÄrztInnen, wie sie zu den bestmöglichen ÄrztInnen werden können?

 

Katharina Bauernschmidt: Ich kann nur den Tipp geben, dass ÄrztInnen über ihre Fachrichtung hinausblicken sollten und auch angrenzende Fachgebiete im Blick behalten. Das wichtigste als ÄrztIn ist aber sicherlich, dass Du immer Du selbst bleibst. Auch wenn man das Studium beendet hat, sollte man bodenständig bleiben und sich Zeit für die PatientInnen nehmen. Die Sportmediziner, die mich betreuen, nehmen sich Zeit für ein Gespräch und finden mit mir zusammen den besten Weg. Vor einer Operation probieren wir erst einen konservativen Weg aus – sollte das nicht funktionieren, kann man immer noch operieren. Außerdem darf man als Arzt oder Ärztin auch freundlich und locker sein. Ich komme selbst aus dem pflegerischen Bereich und es macht einen gewaltigen Unterschied, wenn man ein Patientenzimmer mit einem Lächeln betritt (lacht).

Vom Entlasstag aus der Rehaklinik bis hin zum Para-Sport ist es noch ein weiter Weg. Wie kam es, dass Du heute als Para-Kanutin für Team Deutschland bei internationalen Wettkämpfen am Start bist?

 

Katharina Bauernschmidt: Schon als Kind war ich Leistungssportlerin und vom Sport begeistert. Für mich war klar, dass ich auch im Rollstuhl wieder sportlich aktiv werden möchte. Da es mich zum Wasser hinzieht, musste es eine Wassersportart sein. Nun habe ich aber eben diese kleine Besonderheit – den Rollstuhl – und bei vielen Vereinen trifft man damit zunächst auf Berührungsängste oder erhält die Aussauge, dass die Sportart nicht für RollstuhlfahrerInnen machbar ist. Daher recherchierte ich und wurde auf einen Verein in Duisburg aufmerksam gemacht, der auch Para-Sport anbot. So probierte ich Para-Kanu aus – das war genau das, was ich suchte. Zu Beginn trainierte ich ein- bis zweimal in der Woche, bis dass die Trainer fanden, dass in mir noch mehr Potenzial steckt (lacht). Schon ein Jahr später qualifizierte ich mich bei einer Sichtung für das deutsche Nationalteam und bin seit 2018 für Team Deutschland unterwegs.

 

Bei einer Sportart mit Wasser denke ich nicht als erstes an Para-Kanu. Warum wähltest Du nicht (für mich etwas naheliegender) das Schwimmen?

 

Katharina Bauernschmidt: Als Kind war ich Schwimmerin. Ich probierte auch das Para-Schwimmen aus, allerdings bin ich sehr ehrgeizig. Mir wurde sehr schnell klar, dass ich meine Bestzeiten aus früheren Tagen nicht mehr erreichen kann und damit verlor ich den Spaß am Schwimmen. Ich wollte die schönen Erinnerungen an das Schwimmen gerne behalten und nicht meinen ehemaligen Bestzeiten hinterherschwimmen.

 

Kanu fahren kennt der / die ein oder andere vielleicht von Ausflügen auf nahegelegenen Gewässern. Wo sind denn die Unterschiede dazu, wenn Du im Para-Kanu unterwegs bist?

 

Katharina Bauernschmidt: Es gibt zwei Bootsklassen: zum einen gibt es das Rennkajak. Zum normalen Rennkajak unterscheidet sich das „normale“ Kajak in der Gewichtsklasse, in der Breite der Luke und im Steuer. Unter dem Para-Kajak wird das Steuer festgesetzt – es wird einmal justiert und dann festgestellt, sodass das Steuer nicht aus Versehen durch eine Spastik verändert wird. Die Steuereinrichtung selbst bleibt aber bestehen. Das hat auch den Vorteil, dass wenn z. B. Laub im Wasser liegt, das Steuer nicht verzogen wird. Die meisten AthletInnen aus unserem Team haben außerdem einen speziell von OrthopädietechnikerInnen angefertigten Sitz im Boot, die auch fixiert sind.

Als zweite Bootsklasse gibt es noch das Va‘a – ein ganz tolles Boot mit einem Ausleger. Man könnte auch Südseenussschale dazu sagen (lacht) – 7,35m lang und 12kg Gewicht und dazu den Ausleger nach links oder rechts. Gepaddelt wird meinem Stechpaddel. Der Vorteil ist, dass man nicht so schnell umkippen kann wie im Kajak. Ich bin vor allem in dieser Bootsklasse unterwegs.

 

Wie sieht denn Dein Training aus? Bist Du nur auf dem Wasser und im Boot unterwegs?

 

Katharina Bauernschmidt: Vor den Paralympics trainierte ich vormittags und nachmittags an sechs Tagen in der Woche auf dem Wasser. Dazwischen gibt es zwei bis drei Einheiten Krafttraining in der Halle: bankdrücken und bankziehen – das gesamte Programm für Schnellkraft. Zur Zeit ist es ein bisschen ruhiger – die zwei Jahre vor den Paralympics waren wirklich anstrengend (lacht).

 

In Tokio hast Du Deine ersten paralympischen Spiele erlebt und das gleich unter sehr besonderen Umständen. Wie hast Du die Spiele wahrgenommen?

 

Katharina Bauernschmidt: Durch die Pandemie war es ein sehr spannendes Erlebnis. Vorher hörten wir alle, wie es ablaufen soll, aber niemand wusste, wie es tatsächlich funktionieren würde. Als wir landeten, waren wir direkt von vollvermummten Menschen in lustigen Anzügen umgeben (lacht). Schon am Flughafen wurden wir abgeschottet und durchliefen etliche Stationen wie z. B. einen Spucktest bis dass wir schließlich unsere Akkreditierung erhielten. In der Gepäckausgabe standen wir einem großen Haufen schwarzer Koffer von Team Deutschland gegenüber – es war ein kleines Abenteuer, bis dass jeder seinen Koffer fand (lacht). Zum Glück hatte ich meinen Koffer mit einem kleinen Schlüsselanhänger markiert... Das Abenteuer ging weiter, als einige Koffer noch besonders kontrolliert wurden – meinen Koffer hatte ich zuhause schon kaum schließen können und am Flughafen musste ich ihn für die Kontrolle vollständig auspacken… Bis wir schließlich an unserem Ziel in Naka ankamen, dauerte es 36 Stunden – ein kleines Abenteuer.

Abgesehen von den besonderen Umständen unter der Pandemie: wie hast Du die Spiele sportlich erlebt?

 

Katharina Bauernschmidt: Das Feeling, wie es eigentlich zu den Paralympics gehört, gab es durch die Pandemie leider nicht. Sportlich war es leider nicht so gut. Die Regattastrecke war doch deutlich außerhalb und wir bestritten unsere Wettkämpfe im Salzwasser in Begleitungen von Fischen. Ich persönlich fand die Strecke nicht so schön und mir fehlte einfach das paralympische Feeling. Zum Glück war es nicht mehr so heiß, sonst wäre es noch anstrengender gewesen. Das Ziel ist jetzt Paris, wo es hoffentlich wieder „normale“ Paralympics geben wird.

 

Auf Deiner Instagramseite durfte ich spannende Bilder entdecken, auf denen Du mit einem Exoskelett unterwegs bist. Bei einem Exoskelett schlüpfst Du in eine Stützstruktur, die von außen Deinen Körper umgibt. Damit kannst Du gehen. Wie setzt Du das Exoskelett ein?

 

Katharina Bauernschmidt: Mein Exoskelett begleitet mich seit vier Jahren. Auf der Rehacaremesse in Düsseldorf durfte ich das Exoskelett ausprobieren und trainierte damit, sodass ich es bei der Krankenkasse beantragen konnte. Ich war eine der ersten, die das Exoskelett genehmigt bekam, obwohl es noch keine Hilfsmittelnummer dafür gab. Seitdem setze ich es regelmäßig ein: meine Wohnung aufsuchen, meine Wohnung verlassen oder wenn ich mit meinem Freund fotografisch unterwegs bin. Ich bin gerne in Landschaftsparks unterwegs und probiere gerne viel aus. Mittlerweile kann ich damit auch besondere Orte besuchen wie z. B. den Kohlehochofen in Bottrop. Im laufendem Betrieb durfte ich eine Besichtigung mitmachen und an die Hochhöfen herangehen – das war wirklich cool. Oder wir waren ein Wochenende lang auf der Zeche Zollverein in Essen unterwegs. In Recklinghausen gibt es noch ein Ausbildungsbergwerk, das ich mit dem Exoskelett auch noch unsicher machen werde (lacht).

 

Wie war das Gefühl, als Du das Exoskelett zum ersten Mal um hattest und damit wieder stehen und gehen konntest?

 

Katharina Bauernschmidt: Unbeschreiblich! Als ich das Exoskelett zum ersten Mal an hatte, testete ich noch das ältere Modell, bei dem man noch einen Rucksack tragen musste, in dem sich der Computer befand. Als ich mich damit aufrichtete, war es einfach ein unglaubliches Glücksgefühl (lacht): endlich wieder auf Augenhöhe!

 

Ist es denn schwierig, die Bedienung das Exoskeletts zu lernen oder konntest Du Dich direkt mit der Bedienung zurecht finden?

 

Katharina Bauernschmidt: Bevor mir die Krankenkasse das Exoskelett genehmigte, absolvierte ich einen dreimonatigen Intensivkurs. Drei- bis viermal in der Woche trafen wir uns zum Laufen. Im Sanitätshaus wurde ich durch einen Physiotherapeuten begleitet, mit dem ich verschiedene Aufgaben absolvierte: aufstehen, gehen, um Kurven gehen, Hindernisse überwinden bis hin zum Training an Bordsteinkanten. In den drei Monaten lernte ich alles wesentliche. Vielleicht kommt mir dabei aber auch zugute, dass ich Sportlerin bin und dadurch mehr Kraft und Ausdauer habe  als andere AnwenderInnen. Für viele ist schon eine halbe Stunde Gehen anstrengend. Ich laufe mit dem Exoskelett meistens solange, bis es sich hoffentlich meldet, dass der Akku leer ist (lacht).

 

Du klingst unglaublich begeistert, wenn Du über das Exoskelett sprichst. Hast Du dennoch Verbesserungswünsche? Woran muss noch gearbeitet werden?

 

Katharina Bauernschmidt: Das Gewicht muss sich unbedingt ändern. Alleine kann ich das Exoskelett nicht ins Auto verladen. Obwohl ich im Training noch höhere Gewichte bewege, ist mir das Exoskelett zu sperrig und unhandlich. Außerdem muss sich die Uhr verbessern, mit der das Exoskelett gesteuert wird. Bei Sonne kann man die Uhr kaum noch bedienen und als Anwenderin hoffe ich oft nur noch, dass ich gerade im richtigen Modus unterwegs bin. Was schön wäre, wäre, wenn die Unterarmgehstützen irgendwann überflüssig würden. Aktuell benötigt man diese noch, um das Gleichgewicht zu halten. Bisher wurde schon einiges an der Software verändert und verbessert – ich bin gespannt, wie sich das System weiterentwickelt.

 

Es klingt an, dass Du sehr unternehmungslustig bist. Du bist daher auch gerne mit dem Motorrad unterwegs. Wie kann ich mir das vorstellen?

 

Katharina Bauernschmidt: Zur Zeit fahre ich noch hinten auf dem Motorrad mit. Allerdings habe ich mittlerweile auch selbst den Führerschein, um selbst zu fahren – dafür benötige ich dann ein umgebautes Motorrad. Dennoch bin ich gerne mit dem Motorrad unterwegs – meistens sitze ich bei meinem Freund hinten drauf. Das funktioniert sehr gut: draufsetzen, festhalten, losfahren (lacht). Die Füße fixieren wir noch etwas an der Pedale, damit sie nicht nach vorne oder zur Seite wegrutschen können. Da haben wir Kleinigkeiten verändert, damit ich eine breitere Trittfläche habe. Und dann nur noch Gas geben und Spaß haben (lacht). Das ist ein gefährliches Hobby, aber wir sind uns dem Risiko bewusst und gehen es ein.

 

Wir wünschen Dir auf jeden Fall noch viele schöne Ausflüge und drücken die Daumen für Paris!

 

Bildquellen: blackburn Photographie
Das Interview führte Katharina Tscheu.

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„Das wichtigste als ÄrztIn ist aber sicherlich, dass Du immer Du selbst bleibst.“

~ Katharina Bauernschmidt wünscht sich von allen ÄrztInnen Authentizität und Aufrichtigkeit.