Diagnose: Kämpfe bis zum Schluss

Stephanie Schüler kämpfte und kämpft – mittlerweile im Triathlontraining, zuvor lange Zeit im Krankenhaus. Ihr Leben hatte sich verändert, auf einmal war sie nicht mehr sie selbst. Was mit Kopfschmerzen und Übelkeit anfing, mündete in Wahnvorstellungen und Wutausbrüchen, die die Krankenschwester (tätig im Operationssaal) nicht kannte. Es begann eine lange Zeit des Suchens und Kämpfens. Zunächst erhielt sie die Diagnose „Enzephalitis“, also eine Entzündung des Gehirns. Diese kann z. B. durch Viren oder Bakterien hervorgerufen und nach Identifikation der Ursache spezifisch behandelt werden. Bei Stephanie Schüler wurde jedoch keine Ursache gefunden. Vielleicht ein Zeckenbiss? Aber doch nicht im Dezember. Das Kämpfen für die richtige Diagnose wurde ihr durch Wahnvorstellungen erschwert, oft wusste sie nicht, wo sie sich gerade befand. Doch in klaren Momenten war ihr das Kämpfen möglich und schließlich erhielt sie die Diagnose einer Anti-mGlu-Rezeptor-5-Enzephalitis. Bei dieser

Nach vielen Turbulenzen und negativen Erfahrungen machten Sie aber doch auch noch gute Erfahrungen, oder?

 

Stephanie Schüler: Irgendwann wollte ich es genauer wissen, ob ich nicht doch das gleiche habe wie meine Mitpatientin. Am Tag der Entlassung wurde noch einmal Blut abgenommen und auf diese Antikörper getestet. Im Brief, der mich später erreichte, hieß es schließlich, dass der mGlu5-Antikörper bei Gelegenheit noch einmal überprüft werden sollte. In einem meiner hellen Momente recherchierte ich und fand heraus, dass der Antikörper bei Menschen auftaucht, die Lymphdrüsenkrebs oder pfeiffersches Drüsenfieber hatten – ich hatte zweimal pfeiffersches Drüsenfieber. Bei der Nachuntersuchung wurde der Verdacht erneut zerschlagen. Dort fand auch noch ein neurologisches Symposium statt, bei dem ich ebenfalls nicht vorgestellt wurde. Schließlich schrieb ich einen Arzt an der Charite an, der die Diagnose schon für möglich hielt. In Berlin werde ich nun toll betreut.

 

Es dauerte also sehr lange, bis dass Sie den Arzt kennenlernten, der Sie nun sehr gut betreut. Wie werde ich denn zu einer guten Ärztin?

Stephanie Schüler: Das Problem ist nicht, eine gute Ärztin zu werden. Das Problem sind die KollegInnen. Viele sind sehr engstirnig. Wenn eine Diagnose steht, wird nicht mehr weitergesucht. Bei mir besteht z. B. noch die Frage, warum ich den Antikörper bilde, obwohl ich zahlreiche Medikamente dagegen bekomme. Gut wäre es, KollegInnen zu finden, mit denen man sich besser austauschen kann. In meinem Fall ist es nicht nur das Gehirn kaputt, sondern es geht um mehr: warum muss ich von alleine auf die Idee kommen, mir einen Psychotherapeuten zu suchen? Kann so etwas nicht interdisziplinär angeboten werden? Es wird auch nie gefragt, was ÄrztInnen noch machen können, damit es den Patienten besser geht. Ich glaube, dass dies aber viel an unserer Zeit liegt.

 

In unserem Gespräch erlebe ich Sie dennoch als unglaublich positiver Mensch. Ich weiß aber auch, dass in der Gesellschaft häufig negative Haltungen dominieren. Wie reagieren Sie auf negative Menschen?

 

Stephanie Schüler: Da kommen schnell Sätze wie „Du redest Dich leicht, Du hast es gut.“ Ja, ich habe es gut. Wenn ich es nicht gut habe, dann mache ich es mir gut. Das ist leider die Kultur, die wir haben. Wenn ich krank bin, dann habe ich auch krank auszusehen und mich krank zu benehmen. Das finde ich nicht richtig! Mich verunsichern solche Aussagen aber schon, weshalb ich derartige Situationen mit meinem Psychotherapeuten durchspreche. Mich verwundert es einfach, wie man so negativ denken kann. Es bringt doch keinem etwas. Uns geht es so gut, dass viele gar nicht mehr merken, wie gut es uns geht. Bislang ist mein Leben immer weitergegangen und so wird es auch in Zukunft sein.

 

 

„Für mich kommt es überhaupt nicht in Frage Trübsal zu blasen.“

~ Für Stephanie Schüler ist es eine Selbstverständlichkeit in allem das Positive zu sehen.

 

 

Dementsprechend lautet auch Ihr Lebensmotto, oder?

 

Stephanie Schüler: Ich habe es auf dem Arm stehen: Kämpfe bis zum Schluss – Aufgeben ist definitiv keine Option. Es lohnt sich immer. Bei allem kann man immer das Positive sehen und wenn man ganz tief bohrt, stellt man immer fest, dass eigentlich nichts richtig negativ ist. Ohne Krankheit hätte ich meinen Mann nicht kennengelernt. Ohne Krankheit hätte ich meine Hunde nicht. Ohne Krankheit hätte ich keinen Triathlon. Da würde ich jetzt noch im OP stehen und würde vielleicht nicht so gesund leben wie jetzt  - abgesehen von meinem Gehirn. Es muss dann eben alles so sein.

 

Woher nehmen Sie all die Energie für die positive Haltung?

 

Stephanie Schüler: Das weiß ich gar nicht – ich bin einfach positiv. Für mich kommt es überhaupt nicht in Frage Trübsal zu blasen. Ich habe mittlerweile sechs Hunde, ich habe meinen Triathlon und mein Training, wodurch ich ausgeglichen bin. Aber ich suche nicht gezielt nach positiver Energie – ich bin einfach positiv. Da bin ich aber auch froh darüber. Auch im Krankenhaus: es kann niemand etwas für meine Erkrankung – machen wir also das Beste daraus.

 

Warum fingen Sie ausgerechnet mit Triathlon an? Hätte es nicht auch eine Sportart sein können, die weniger anstrengend und aufwendig ist?

 

Stephanie Schüler: Ich bin schon immer gerne Fahrrad gefahren. Als es darum ging, dass ich einen Ausgleichssport brauche, meinte mein Arzt nur, ich solle bloß keinen Mannschaftsport wählen. Auf mein enttäuschtes „Warum?“ antwortetet er: „wollen Sie jedes Spiel mit einem Platzverweis verbringen?“ (lacht) Es ist Teil der Erkrankung, dass ich unwahrscheinlich schnell aggressiv werden kann, vor allem in Phasen, wenn der Antikörper zunimmt, die Therapiewirkung aber abnimmt. In meiner „geistigen Umnachtung“ in der Reha bestellte ich mir ein Triathlonbuch. Beim Umzug fiel es mir wieder in Hände. Da las ich es und fing einfach an. Ich las schließlich auch, dass der Autor des Buchs auch Kurse gibt – er ist seit 2016 mein Trainer (Michael Krell). Beim Training merkte ich schnell, dass der Sport mir eine innere Ruhe und Ausgeglichenheit verschafft. Natürlich gab es auch Phasen, in denen ich an diesem Wahnsinn zweifelte.

 

Wie genau verläuft denn Ihr Training?

 

Stephanie Schüler: Fünf bis sechs Tage in der Woche habe ich Training, jeden Tag zwei Stunden. Es ist der Plan, nächstes Jahr die Langdistanz zu absolvieren und dabei auch über seltene Erkrankungen aufzuklären. Ein solcher Renntag geht über dreizehn, vierzehn Stunden, aber jeder Meter ist ein Geschenk und die Zeit mir vergeht unglaublich schnell. Der erste Schritt ist dabei schon getan: Ende Oktober konnte ich mir einen von 1000 Startplätzen beim Triathlon in Roth ergattern – darauf freue ich mich schon unglaublich! (lacht)

Abseits des Triathlons werden Sie von Ihren Hunden auf Trab gehalten. Mit einem Ihrer Hunde absolvieren Sie derzeit die Rettungshundeausbildung. Wie läuft diese ab?

 

Stephanie Schüler: In der Rettungshundeausbildung bin ich auch wieder der Exot schlechthin (lacht), weil ich Windhunde habe. Windhunde werden eigentlich nur als Statussymbol gehandelt. Durch Zufall las ich, dass es in der Nachbarstadt eine Rettungshundestaffel gibt. Weil es keine absolute Definition vom „Rettungshund“ gibt – er sollte robust und wissbegierig sein, also alle Hunde, nur die Windhunde nicht (lacht) –, durfte ich dennoch die Staffel besuchen.

Die Ausbildung dauert insgesamt drei Jahre, in denen Mensch und Hund viele Ausbildungsstufen und Kurse absolvieren. Dadurch wird auch die Beziehung zwischen Mensch und Hund sehr intensiv. Beim Deutschen Roten Kreuz hat man zuvor mindestens sechs Monate Probezeit. Jetzt mache ich erst einmal die Flächenhundeausbildung. Das heißt, dass wir lebende Menschen in einem großen Waldgebiet suchen. Als Hundebesitzer muss ich einige Lehrgänge besuchen wie z. B. zur Betreuung und die erste Hilfe an der geretteten Person. Der Hund muss lernen, im Wald Menschen zu finden und das dauert am längsten. Nach den sechs Monaten Probezeit starten die Lehrgänge, die sehr viel Geld kosten – deshalb gibt es vorher die Probezeit. Danach geht man als Helfer in den Einsatz, um die Abläufe besser kennenzulernen, bevor man mit dem Hund auf die Menschheit losgelassen wird (lacht). Es ist absolut eine Aufgabe, die mich erfüllt. Sie ist aber auch anstrengend, gerade emotional. Als ehemalige OP-Schwester mit zehn Jahren Berufserfahrung kann ich damit aber gut umgehen.

Jetzt haben Sie aber nicht nur einen, sondern gleich sechs Hunde. Wie kam denn dieses Rudel zustande?

 

Stephanie Schüler: Das ist ein bunter Haufen (lacht). Der kleinste ist auch der älteste: Oskar. Oskar ist ein Prager Rattler von dreieinhalb Kilogramm. Den bekam ich zum 31. Geburtstag als Aufgabe geschenkt, um wieder Verantwortung zu übernehmen und einen geregelten Tagesablauf zu leben. Er kam aus ziemlich schlechten Verhältnissen, dementsprechend kaputt sind mittlerweile z. B. seine Knie. Gleichzeitig ist Oskar mein Antikörperfrühwarnsystem: wenn der Antikörper wieder steigt, hat er Angst vor mir. Normalerweise klebt er an mir wie ein Handtaschenhund – von der Größe würde es passen (lacht). Irgendwann war Oskar einsam. Mein zweiter Hund heißt Josie mit Spitznamen Gurke, sie hört auch nur auf „Gurke“  – ein Shetland Sheepdog. Die beiden sind ein Herz und eine Seele. Oskar wurde älter, als war ich der Meinung, dass Gurke auch noch einen richtigen Spielgefährten braucht.

italienische Windspiele züchtet und mich fragte, ob ich eine Geburt miterleben wollte – wollte ich. Es war der 22. Februar 2020 – Weltenzephalitistag, schon ein blöder Tag (lacht). An diesem Tag kam Hannes zur Welt, er war halbtot. Jetzt wird er Rettungshund und ist kerngesund. Hannes Mutter wurde erneut gedeckt und der Geburtstermin war mein Geburtstag (lacht). Die Geburt war schlussendlich doch zwei Tage früher, die Tierärztin war anderweitig unterwegs. Also übernahm ich und Pitt kam auf die Welt.

 

Gibt es bei so vielen Hunden nicht Chaos beim Spazierengehen?

 

Stephanie Schüler: Es ist ein lustiges Rudel, aber es funktioniert. Ich kann mich vollkommen auf die sechs verlassen und beim Spaziergang gibt es kein Theater. Die kleinen Hunde haben die Begleithundeausbildung – die sechs sind einfach meine Aufgabe. Nur beim Laufen habe ich sie nicht dabei, das ist langweilig für sie.

 

Dann wünsche ich mit dem kleinen Rudel noch ganz viel Spaß und bei den nächsten Triathlonherausforderungen gutes Gelingen, danke für das Gespräch!

 

Das Interview führte Katharina Tscheu.  

Stephanie Schüler und ihre Bande in Berlin
Stephanie Schüler auf dem Fahrrad
Stephanie Schüler mit ihrem Rettungshund
Stephanie Schüler und ihre Hunde im Wald

Autoimmunerkrankung produziert der Körper Antikörper gegen einen Rezeptor, der im Gehirn wichtig für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen ist. Der Antikörper blockiert den Rezeptor, sodass die Rezeptoren schließlich sogar ganz verschwinden können. So kommt es zu Persönlichkeitsveränderungen und Wahnvorstellungen, die Betroffene selbst gar nicht mitbekommen müssen. Wie viele Menschen weltweit erkrankt sind, ist unklar. Sicher ist nur, dass die Erkrankung sehr selten ist.

 

Für Stephanie Schüler ist aber noch lange nicht Schluss. Mittlerweile ist die Erkrankung Teil ihres Lebens, genauso wie das Triathlontraining und ihre Hunde. Wie die Triathletin es schafft, positiv durch das Leben zu gehen und warum sie mit einem Windhund die Rettungshundeausbildung absolviert, erzählte sie uns.

 

Wenn wir ganz offen in dieses Gespräch starten – was müssen wir über Sie wissen?

 

Stephanie Schüler: Mittlerweile bin ich schon sehr zurückhaltend. Es fällt mir schwer, am Leben teilzunehmen – das rührt aber von der Erkrankung her. Mit meinem Psychotherapeuten bin ich dabei, wieder raus in die Welt zu kommen. Was muss man von mir wissen? Eigentlich bin ich für alles zu haben (lacht). Ich tue mich aber immer schwer, über mich selbst zu reden.

 

Bis aber klar war, welche Erkrankung Ihr Leben verändert, dauerte es lange Zeit. Können Sie diesen unglaublich langen Weg kurz zusammenfassen?

 

Stephanie Schüler: Rückblickend war es ein Albtraum. Ich höre oft, die Geschichte sei hollywoodreif. Wenn man mich so sieht, glaubt man nicht, dass ich so planlos durch die Welt ging. Der Vorteil ist aber, dass wenn man nicht weiß, was los und es durch die Erkrankung auch nicht mehr wahrnehmen kann, stört einen das gar nicht (lacht). Ich war schon oft verzweifelt. Es ist wirklich schwierig dann jemanden zu finden, der richtig zuhört.

 

Zuhören ist unfassbar wichtig – nicht nur in der Medizin. Ist das der Kernpunkt, der schiefgelaufen ist?

 

Stephanie Schüler: Ja, schon. Ich war alleine unterwegs. Stellen Sie sich einen jungen Menschen vor, der alleine in der neurologischen Reha abgesetzt wird und keine Ahnung von der Situation hat. In der Reha erzählte ich alles und sie glaubten mir alles, nur nicht, dass ich Pflegepädagogik studiert habe. So ging es mir ein gutes dreiviertel Jahr, bis dass ich in der Charite landete. Zwischenzeitlich hatte ich noch epileptische Anfälle – im Nachhinein weiß ich, dass die entstanden sind, weil Medikamente scheinbar wahllos an- und abgesetzt wurden. Wenn man dann ins Epilepsiezentrum abgeschoben wird und dort erst die Mutter einer Mitpatientin äußert, dass die Symptome ihrer Tochter die gleichen waren wie bei mir. Da fragte ich die Ärzte wieder, ob ich auch so etwas haben könnte und die Antwort war klar: „Nein, das haben Sie nicht. Suchen Sie sich nicht ständig irgendwelche Diagnosen heraus!“ Als OP-Schwester hatte ich Zugang zu medizinischer Fachliteratur, daher ich wurde als Simulantin dargestellt. Im Nachhinein bin ich damit im Reinen, denn woher sollen die ÄrztInnen mehr über mich wissen, wenn ich alleine unterwegs bin? So richtig wusste lange Zeit niemand Bescheid. In meinen Berichten stand immer „Hirnentzündung, unklare Genese“ (es war unklar, woher die Entzündung kam). In meinem Wahn war ich der Meinung, dass das ist wie ein bisschen schwanger oder ein bisschen steril – das gibt es alles nicht (lacht).

Da war der dritte Hund nicht mehr weit.

 

Stephanie Schüler: Genau (lacht). Wir haben ein Haus mit Garten und viel Wald vor der Haustür, also passt das schon. Wir besuchten daher die Züchterin, von der wir Josie bekamen. So kamen wir zu Finn, der Neffe von Josie. Finn hat wiederum eine Schwester. Schließlich kam ein Anruf, dass wir Finn nicht nehmen bräuchten. Seine Schwester hat einen schweren Herzfehler und Finn ist Erbträger davon. Wir hätten ihn nicht nehmen brauchen, aber ich sorgte mich um die Schwester, denn es hieß, dass sie zeitnah sterben würde. Also nahmen wir beide: Finn und Ellie – noch zwei Shetland Sheepdogs (lacht). Ellie wurde erfolgreich operiert und hat nun eine normale Lebenserwartung. Schlussendlich lernte ich unsere neue Tierärztin kennen, die auch