Diagnose:  Zeig mir Dein Handicap

Thomas Frey
Thomas Frey in Köln

Das vielleicht wichtigste Thema auf dem Golfplatz ist das Handicap. Auf Basis der letzten Spielergebnisse wird das Handicap berechnet und sagt damit aus, wie gut eine Spielerin oder ein Spieler spielen kann. Thomas Frey ist nicht nur passionierter Golfer, sondern auch fit mit Handicap. Nach einem Arbeitsunfall mit einer Landmaschine verliert Thomas sein rechtes Bein und seine rechte Hüfte. Anders als im Vergleich zu einer Oberschenkelamputation fehlen Betroffenen damit zum Sprung- und Kniegelenk auch noch das gesamte Hüftgelenk auf einer Seite. Bei einer sogenannten Hemipelvektomie wird damit auch der Sitzbeinhöcker entfernt, wodurch sich auch das Sitzgefühl und die Sitzstabilität verändert. Heute gibt Thomas anderen Betroffenen Tipps, wie sie sich fit halten können und zeigt auf, welche Bedeutung Sport im Allgemeinen und im Besonderen nach einer Amputation hat. Darüber hinaus ist er als Peercoach unterwegs und sorgt aktiv für Veränderungen in der Betreuung nach einer Amputation. Welche Rolle Stand-Up-Paddling dabei spielt, wann er mit einer Traumatherapie begann und wie er seine Leidenschaft für den Golfsport entdeckte, verrät er uns im Gespräch.

Hallo Thomas, herzlichen Dank für Deine Zeit. Wenn man Dich nicht kennt, was muss man dann über Dich wissen?

 

Thomas Frey: Das ist eine schwierige Frage (lacht). Ich glaube, dass ich nicht den typischen Weg einer behinderten Person gegangen bin. Mittlerweile verbinde ich meine Behinderung mit meinem Beruf, was ich aber nicht von Anfang an umsetzte. In einer bestimmten Art und Weise prägte mich das. Als 21-Jähriger hatte ich den Unfall und die Situation sah nicht gut aus: mit einem Hämoglobinwert von 1,4 (Anmerkung der Redaktion: das ist ein indirektes Maß für die Anzahl der roten Blutkörperchen und mit 1,4 sehr niedrig) wurde ich in die Klinik gebracht und hatte mehr als nur einen Schutzengel. Ich hatte das Ziel, Agrarwissenschaften zu studieren – der Unfall passierte vier Wochen vor Abschluss der Lehre. Auf einen Schlag brach alles zusammen. Von den MedizinerInnen und der Berufsgenossenschaft wurde ich als lebenslang berufsunfähig eingestuft, doch daran fühlte ich mich nicht gebunden. Ich wollte mein Leben so weiterführen, wie ich es ursprünglich geplant hatte. Daher studierte ich ein Jahr später Agrarwissenschaften, obwohl ich wusste, dass ich nie wieder auf einem Traktor sitzen würde. Wie ich dafür die Kraft hatte, weiß ich heute nicht mehr. Ich hatte mir ein ganz bestimmtes Gedankenmuster bzw. Mindset aufgebaut, da ich so erfolgreich sein wollte, wie ich es mir als nicht-behinderter Mensch gewünscht hatte.

 

Ich selbst bin 21 Jahre alt und stelle mir die Verarbeitung eines solchen Unfalls sehr schwierig vor. Hattest Du Unterstützung bei der Verarbeitung des Unfalls? Und wenn ja, wie sah die Zeit aus?

 

Thomas Frey: In Deutschland sind immer Menschen bemüht, Dir zu helfen – ganz gleich, wann ein Unfall erfolgt. 1985 war man noch nicht so weit, dass man 24 oder 36 Monate lang eine Trauma- oder Trauertherapie bekommt. Es ging alles sehr schnell: ich verlor ein Bein und hatte viele weitere medizinische Probleme und doch lag ich nicht lange im Koma. Schon nach drei Tagen wurde ich wieder aufgeweckt. Ähnlich schnell ging es bei den Psychologen. Meine Familie funktionierte weiter und wurde selbst gesellschaftlich gut aufgefangen. Obwohl ich als ein sehr positives Beispiel in der Klinik galt, wurde ich als selbstmordgefährdet eingestuft. Vier Wochen lang wurde ich von zwei Psychologen begleitet, bis dass sie mich als nicht mehr gefährdet einstuften. In den vier Wochen stand ich noch unter hochdosierten Schmerzmitteln und erzählte ihnen alles, was sie hören wollten… Man könnte meinen, dass es das heute nicht mehr gibt – dafür gibt es andere Fehlentwicklungen.

 

Welche Fehlentwicklungen siehst Du konkret?

 

Thomas Frey: Wenn einem heute ein solcher Unfall passiert, bleibt vieles beim Betroffenen selbst hängen. Hilfen wären in dieser Richtung absolut notwendig. Genau an diesem Punkt arbeite ich zur Zeit selbst und entwickle mit einem Team eine App, die Betroffenen unterstützt, ihr Trauma zu bewältigen und sich mit anderen auszutauschen. Das hätte ich vor vierzig Jahren gebraucht. Dadurch dass ich zum disziplinierten Einzelkämpfer wurde, erreichte ich rasch meine Ziele: ich wurde schnell mobil und konnte studieren. Die ÄrztInnen fanden meine Entwicklung natürlich großartig, aber ich stellte erst Jahrzehnte später fest, was mit mir tatsächlich geschehen war: ich fiel in einen Performermodus. Nach dem emotionalen Tiefschlag kam schnell ein Trotzmodus, in dem ich erst recht zeigen wollte, was ich kann. Auf einmal konnte ich vieles, das das Umfeld nicht für möglich hält. Für eine gewisse Zeit ist das toll, aber man muss auch wieder zurückschalten – nach zwanzig Jahren merkte ich, dass zu viel gegeben hatte. Zwar hatte ich kein Burnout, aber das ein oder andere Signal meines Körpers hatte ich überhört. 25 Jahre nach meinem Unfall begann ich meine Traumatherapie. Als frisch amputierte Person ist Psychotherapie mindestens genauso wichtig wie Physiotherapie.

 

Heute bist Du selbst als Coach unterwegs und hilfst anderen dabei, das passende Mindset zu finden. Wie kannst Du dabei unterstützen?

 

Thomas Frey: Man darf es sich nicht so vorstellen, dass ich das Mindset bewerte. In erster Linie höre ich beim Peercoaching zu. Meistens läuft das Coaching auch innerhalb eines unternehmerischen Kontext, da ich für ein Start-Up-Unternehmen unterwegs bin, das eine App zur Therapie von Phantomschmerzen auf Basis der Spiegeltherapie entwickelte. Die Teilnehmenden durchlaufen einen Prozess, bekommen Materialien an die Hand und eine Ergotherapeutin begleitet sie. Ich telefoniere mit den Betroffenen und gebe nur kleinere Tipps. Beispielsweise weiß ich, wie wichtig Sport psychisch und physisch ist. Jemanden, der vor der Amputation immobil war, kann ich nicht von heute auf morgen zum Sport bewegen. Allerdings kann ich Empfehlungen und Einladungen aussprechen. So veranstalte ich zum Beispiel das AmpSurfcamp – ein Wassersportevent in der Nähe von Heidelberg zu dem ich in einem ungezwungenen Rahmen einlade. Oder ich diene selbst als Vorbild: 2010 startete ich das Projekt „Fit mit Handicap“, bei dem ich in den sozialen Netzwerken und bei Youtube zeige, was mit einer Amputation an Sport noch alles möglich ist.

 

Wie kommt man auf die Idee, als Amputierter das AmpSurfcamp zu starten?

 

Thomas Frey: Die Idee dazu entstammt dem Projekt „Fit mit Handicap“. Mit einem Freund zusammen überlegte ich, wie sich Amputierte untereinander besser vernetzen und Informationen austauschen können. Ich komme aus den 1980er-Jahren – es gab kein Internet. Ich erhielt lokal von einem anderen Betroffenen Informationen. Zu meiner Zeit gab es insgesamt weniger Informationen, diese aber auf einer persönlicheren Ebene. Beim Surfcamp wollte ich dies aufleben lassen. Besagter Freund kam von einer Reise aus den USA wieder und erzählte mir, dass Stand-Up-Paddling dort der Trend schlechthin sei – da war die Idee geboren und wir begannen ein Konzept zu schreiben. Das heutige Konzept entspricht diesem noch. Wir suchten nach einer Location und Sponsoren. 2014 begannen wir mit drei Amputierten, zehn Helfern und Sponsoren. Ein Jahr später waren wir schon zwanzig Personen und so wuchs das Camp weiter, nicht zuletzt aufgrund von verbessertem Marketing. Für das AmpSurfcamp 2022 erwarten wir rund 40 amputierte TeilnehmerInnen und ihre Familien sowie zahlreiche Sponsoren. Neben dem Stand-Up-Paddling gibt es Workshops und Vorträge.

 

Wie funktioniert denn für Dich das Stand-Up-Paddling?

 

Thomas Frey: Ich begann für das erste Surfcamp gezielt das Stand-Up-Paddling zu trainieren und dachte, dass ich mich mit einem Bein gut auf dem Board halten könnte. Allerdings musste ich feststellen, dass das Wasser doch für eine sehr hohe Instabilität sorgt und ich mit einem Bein ohne Prothese nicht fahren kann. Auf dem Board stehen funktioniert, paddeln aber nicht. Diejenigen, die eine wasserfeste Prothese haben, können jedoch wie jeder andere auch paddeln.

Dadurch dass ich zum disziplinierten Einzelkämpfer wurde, erreichte ich rasch meine Ziele.“

~ Heute sorgt Thomas Frey selbst dafür, dass mehr Angebote und Unterstützung für Betroffene geschaffen werden.

Welche Rolle spielt der Sport abseits vom AmpSurfcamp in Deinem Leben?

 

Thomas Frey: Sportlich war ich schon immer, auch schon vor der Amputation. Allerdings nicht zu talentiert. Nach meinem Unfall absolvierte ich drei Jahre lang ausschließlich Physiotherapie. Doch ich wollte unbedingt wieder Skifahren können. Zu meinem Glück wohnte in der Nachbarschaft meines Elternhauses ein amputierterhtt Skilehrer. Mit ihm tauschte ich mich aus und er brachte mir das Skifahren bei. Das war der Startpunkt für mich, dass ich so gesund wie möglich sterben und bis dahin möglichst viel Freude an meinem Körper haben möchte. Um acht Tage im Jahr Ski fahren zu können, trainierte ich das ganze Jahr. In Stuttgart trat ich in den Behindertensportverein ein, wo ich mit schwimmen begann – der gelenkschonendste Sport überhaupt. Wasser ist aber nicht mein Element, sodass ich auf Krafttraining setzte – alles für den Skisport. Zwar war ich auch talentiert, hatte aber nie die Ambitionen leistungsorientierter unterwegs zu sein, da mein Fokus auf dem Beruf lag. Über die Jahre hinweg hielt ich mich und meinen Körper im Fitnessstudio fit.

 

Heute liegt Dein sportlicher Fokus aber auf dem Golfsport. Wie kam es zu dieser Veränderung der Sportarten?

 

Thomas Frey: 2009 zog ich nach Köln – hier gab es einen Cut in meinem Leben. So nahm ich beim Prothesenhersteller Össur erstmals einen Job an, der mit meiner Behinderung zu tun hatte. In Köln suchte ich mir ein Fitnessstudio, in dem ich weiterhin trainieren kann. Dabei lernte ich jemanden kennen, der in Köln im Bereich Eventmanagement beim Golfen aktiv ist. Er organisiert z. B. die Kölner Golfwoche. So kam die Frage auf, ob ich nicht auch das Golfen ausprobieren möchte. 2006 hatte ich im Rahmen eines Schnuppertages die Sportart schon einmal getestet, allerdings war ich nach zehn Minuten fix und fertig (lacht). Jedenfalls probierte ich es erneut. Das war vor den olympischen und paralympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016, bei denen Golf ins olympische Programm aufgenommen wurde. Wir dachten, dass Golf dann bestimmt auch paralympisch wird und ich meinte im Scherz, dass man mich für die Paralympics fitmachen könnte (lacht). Damit traf ich auf einen Nerv und schnell wurde mir ein Trainer, ein Golfclub sowie Equipment organisiert. So begann ich das Golfen. Relativ schnell zog es größere Kreise: ein amputierter Golfer, der ohne Prothese und technische Hilfsmittel freischwingend spielt, ist selten – wir sind nur zu dritt in Europa.

 

Wie steht es denn um Deine Teilnahme bei den paralympischen Spielen in Paris 2024?

 

Thomas Frey: Bei den deutschen Meisterschaften spielte ich schon mehrfach und auch bei den bayrischen Meisterschaften. Das Ziel waren die Paralympics. Das Ziel ist auch noch nicht aus den Augen verloren. Allerdings gibt es zwei ausschlaggebende Faktoren: zum einen ist es meine eigene Leistungsfähigkeit. 2019 bekam ich eine Hüftproblematik und 2021 erhielt ich auch eine Hüftprothese. Mittlerweile stehe ich aber schon wieder auf dem Golfplatz. Zum anderen ist Golf für die paralympischen Spiele 2024 in Paris noch nicht gelistet. Vor der Aufnahme einer neuen Sportart für die Paralympics müssen in dieser Sportart zunächst eine bestimmte Anzahl an internationalen Wettbewerben durchgeführt worden sein. Bei amputierten Golfern steht man kurz davor, diese Regularien zu erfüllen – vielleicht etwas zu spät für Paris.

 

Du sagtest gerade, dass Du ohne eine Prothese golfst. Warum trägst Du dabei keine Prothese?

 

Thomas Frey: Bei meinem Unfall ging auch meine rechte Beckenhälfte verloren (eine Hemipelvektomie). Das bedeutet, dass eine Prothese insgesamt drei Gelenke (Fuß, Knie und Hüfte) ersetzen muss. Befestigt wird eine solche Prothese über einen Beckenkorb. Je höher eine Amputation erfolgt, desto schwieriger wird eine richtig gute prothetische Versorgung. Nichtsdestotrotz absolvierte ich mein Studium, mein Promotion und meine Arbeit mit einer Prothese – ich weiß heute nicht mehr, wie ich das geschafft habe (lacht). Als Hemipelvektomiepatient muss ich für einen Schritt 100 Prozent mehr Kraft aufwenden als jemand mit zwei Beinen – das heißt, dass ich vom Kraftaufwand zwei Schritte gehe, wenn du nur einen gehst. Das kann man eine ganze Zeit lang machen. Eigentlich wird man bei meiner Amputationshöhe so eingestuft, dass man die Prothese eine Stunde in Innenräumen gut tragen kann. Ich trug die Prothese jedoch viel länger und eben auch bei der Arbeit. Irgendwann machte mein Körper dies aber nicht mehr mit. Außerdem kann man mit einem Beckenkorb bei 25 Grad nicht mehr gut durch die Stadt gehen. Mit Krücken laufe ich auch bei 30 Grad noch 10km. Meine Sorge dabei war immer, ob es im Beruf meine KollegInnen stört, wenn ich ohne Prothese sichtbar behindert vor ihnen sitze oder stehe. Zwei enge Freunde sagten mir schließlich, dass ich mit Prothese behindert aussehen würde, ohne jedoch nicht (schmunzelt).

 

Wirst Du denn häufig darauf angesprochen, wenn Du auf Krücken unterwegs bist?

 

Thomas Frey: Mein Umfeld, das mich kennt, fragt nicht mehr. Jedoch gibt es immer wieder Menschen, die wenig Empathie zeigen: sie kennen mich fünf Minuten und fragen direkt, warum ich eigentlich keine Prothese tragen würde. Auf dem Golfplatz passierte mir dies schon häufiger. Vermutlich fragen sie aus Unwissenheit oder Interesse, doch bei mir kommt es häufig anders an. Brutal gesagt ist das für mich ein Abbild von Diskriminierung. Ich bin der Meinung, dass ein bestimmtes gesellschaftliches Mindset dahinter steht: 2022 haben wir die Möglichkeit eine Behinderung wegzumachen. Das ist für die Gesellschaft und für den Einzelnen gut – dann fällt er nicht mehr auf. Für mich ist es daher mittlerweile auch eine Frage der bewussten Sichtbarkeit mit Krücken unterwegs zu sein.

 

Du bist an zahlreichen Projekten beteiligt. Was steht als nächstes bei Dir an?

 

Thomas Frey: Zwei Projekte haben zur Zeit höchste Priorität bei mir. Zum einen ist das die Weiterentwicklung eines reliefartigen Untergrunds, der ursprünglich für Sturzpräventionskurse für ältere Menschen entwickelte wurde. Dieser Untergrund eignet sich aber für das Training mit der Prothese genauso gut. Zum anderen arbeite ich mit zwei Start-Ups daran, das Peer-Coaching zu digitalisieren. In Deutschland gibt es jährlich rund 60.000 Amputationen – beim letzten organisierten Peer-Treffen waren wir 35 Peers. Peer-Coaching ist die beste Methode, um Menschen nach einer Amputation wieder in ihre Selbstwirksamkeit zu bringen. Die medizinischen Leitlinien organisieren dich komplett durch – eine psychosoziale Beratung steht in der Rehaleitlinie für Menschen mit einer Amputation erst an 22. Stelle… Da verwundert es mich nicht, dass über alle Menschen mit Behinderung nur rund 30 Prozent im ersten Arbeitsmarkt tätig sind. Bei nicht-behinderten Menschen sind rund 80 Prozent dort tätig. Meines Erachtens liegt dies daran, dass nicht frühzeitig interveniert wird.

 

Gehen wir einmal von einer optimalen Welt aus: welche Veränderungen müssen noch erreicht werden, um die Versorgung nach einer Amputation perfekt zu gestalten?

 

Thomas Frey: Ich glaube, dass wir in der Medizin mehr Co-Kreation benötigen. Der Mensch steht dabei im Mittelpunkt und um ihn herum sind viele Bereiche angeschlossen, die diesen Menschen ausmachen. Das ist der Mensch an sich mit seinen Denkmustern. Das ist das soziale Umfeld mit seiner Familie, seinem Beruf, seinem sozialen Kontext. Auf der anderen Seite stehen seine Vitalwerte: ich kann ein tolles Mindset haben und dennoch geht es mir nicht gut – oder umgekehrt. Man muss schauen, ob derjenige mit einer Amputation fit genug für die Welt ist oder ob er noch individuelle Beratung benötigt. Der vierte Bereich ist der systemische Bereich: die Krankenhäuser, die MedizinerInnen und alle weiteren Gesundheitsberufe. Es müsste eine individuelle Landkarte geben, die alle Bereiche der betroffenen Person abbildet und alle Beteiligten müssten sich über diese Karte bewusst sein. Außerdem muss die betroffene Person darin geschult werden, wie das Leben mit Behinderung verläuft. Das Leben mit einer Behinderung hat ganz andere Spielregeln als das Leben ohne Behinderung. Ein Beispiel: als nicht-behinderte Person möchte ich spontan einkaufen fahren, setze mich ins Auto, steuere das erstbeste Parkhaus an und gehe los. Als amputierter Mensch muss ich mir zunächst überlegen, wo genau ich hin möchte und wo der nächste Behindertenparkplatz ist. Wenn der besetzt ist, muss ich wissen, wo sich der nächste befindet – der dann aber vielleicht zu weit weg ist. Die Zeitrechnung eines Menschen mit Behinderung ist daher eine andere. Ein nicht-behinderter Mensch muss dies nicht im Detail wissen, aber das Umfeld eines Betroffenen braucht dafür Verständnis und Empathie. Ein Mediziner muss bei einer Behandlung immer wissen, wie ein Eingriff sich auf die prothetische Versorgung auswirkt. Genau hier setzt der co-kreative Ansatz an. Unser Gesundheitssystem ist leider etwas zu starr.

 

Wenn Du ganz konkret einen Wunsch äußern dürftest: was würdest Du Dir für frisch amputierte Menschen wünschen?

 

Thomas Frey: Insbesondere für die zehn Prozent der 60.000 jährlich neuamputierten Menschen, die sich in der Rushhour ihres Lebens befinden und noch nicht über sechzig Jahre alt sind, würde ich mir wünschen, dass Kostenträger nicht jeden Euro einzeln umdrehen, sondern patientenorientierter handeln. Von MedizinerInnen wünsche ich mir, dass sie mehr und besser zuhören, denn nur so erfährt man die wirklich wichtigen Aspekte. Nur leider werden sie für das Zuhören nicht bezahlt.

 

Wir können uns nur dafür einsetzen, dass es zu diesen Veränderungen kommt. Vielen Dank für das schöne Gespräch und alles Gute für Deine weiteren Projekte.

 

Mehr zu Thomas Frey findet man unter:  https://thomas-a-frey.de/

 

Bilder: Natalie Michel

 

Das Interview führte Katharina Tscheu.