Diagnose:  Ehrgeiz kann man nicht trainieren

Tom Schmidberger in Tokio
Tom Schmidberger fokussiert
Tom Schmidberger

Was ist der Antrieb eines jeden Leistungssportlers und einer jeden Leistungssportlerin? Für Thomas „Tom“ Schmidberger ist es der Ehrgeiz. Während andere schon Pause machen, ist er noch an der Tischtennisplatte und trainiert weiter. Allerdings sitzt er dabei. Aufgrund eines Unfalls ist Tom querschnittsgelähmt. Bei einer Querschnittslähmung sind die Nerven des Rückenmarks so beschädigt, dass sie die Nervenimpulse unvollständig oder gar nicht mehr weiterleiten. Tom kann daher seine Beine nicht bewegen und spüren, seine Arme sind aber noch vollständig intakt – Tischtennisspielen ist daher problemlos möglich. Seit Sommer 2017 startet er für Borussia Düsseldorf. Der gebürtige Bayer wohnt für optimale Trainingsbedingungen in der Landeshauptstadt und wurde 2019 sogar zum Düsseldorfer des Jahres in der Kategorie Sport gewählt. Mehrfach gewann er bereits die Deutsche Meisterschaft mit Borussia Düsseldorf und auch Einzel- sowie Teameuropameister darf er sich nennen. Im Gegensatz zu vielen anderen Para-SportlerInnen ist Tom Vollprofi und lebt für und von seinem Sport. 

 

Im Gespräch erzählt uns Tom nicht nur, woher seine Leidenschaft für den Tischtennissport kommt und welche Sportart ihn noch begeistert, sondern wirft auch ein Blick auf die vergangenen Paralympics und berichtet uns von seinen Zielen.

 

Besten Dank, dass Du für unser Gespräch Zeit in Deinem gut getakteten Kalender gefunden hast. Ich möchte auch gleich zu Beginn ganz direkt fragen: warum sitzt Du überhaupt im Rollstuhl?

 

Tom Schmidberger: Ich hatte im Alter von vier Jahren einen Autounfall. Auf dem Weg vom Kindergarten nach Hause wurde ich von einem Auto angefahren.

 

Mit vier warst Du dabei extrem jung. Wie hast Du die Zeit nach dem Unfall erlebt? Hast Du daran überhaupt noch Erinnerungen?    

Tom Schmidberger: Erinnerungen habe ich tatsächlich sehr wenige. Es war aber schwierig, das Geschehene zu realisieren. Meine Eltern haben, glaube ich, einen tollen Job gemacht. Eigentlich kenne ich das Leben nicht anders. Es ist schwierig die Erinnerungen als positiv oder negativ einzusortieren. Im Prinzip kenne ich das Leben nicht anders als im Rollstuhl. Da ist die Frage gar nicht so einfach zu beantworten (lacht).

 

Mit dem Rollstuhl warst Du dann aber in einem ganz normalen Kindergarten.

 

Tom Schmidberger: Genau. Ich war auch danach nie auf einer Körperbehinderten-Schule. Ich war ganz normal auf einer Regelschule, das war meinen Eltern damals ganz wichtig. Heute bin ich ihnen dafür sehr dankbar.

 

Inklusion war zu dieser Zeit aber doch noch kein Thema, oder?

 

Tom Schmidberger: Für mich auf jeden Fall nicht (lacht). Als Vierjähriger ist man noch nicht soweit gesellschaftlich zu denken (lacht). Damals waren Inklusion und Barrierefreiheit noch keine Themen für mich. Schon häufiger habe ich es angesprochen: es gibt kein Land, dass so wenig barrierefrei ist wie Deutschland. Für eine solche Wirtschaftsnation ist das peinlich.

 

Als Vierjähriger war Tischtennis auch noch kein Thema für Dich. Wie kam es zu dieser Leidenschaft?

 

Tom Schmidberger: Die Leidenschaft kam zu Schulzeiten. In der Pause wurde an der Tischtennisplatte ganz klassisch mit Handys und Schulheften Rundlaufen gespielt – sehr kreativ. Fußball ging für mich nicht, aber Tischtennis funktionierte auch im Rollstuhl. Ich nervte meinen Vater schließlich, dass ich unbedingt eine Tischtennisplatte für zuhause brauche. In der Schule war ich beim Rundlaufen der schlechteste und wollte daheim trainieren. Schließlich bekam ich die Tischtennisplatte und fing mit dem Training an. Interessanterweise hatte ich nie das Gefühl, dass ich für immer der schlechteste bleiben muss. Irgendetwas gab es, das mich gereizt hat.

 

Und heute: wo ist für Dich mittlerweile die Faszination im Tischtennis?

 

Tom Schmidberger: Heute ist der Tischtennissport für mich Hobby, Beruf und Leidenschaft in einem. Heute ist es für mich viel mehr als nur eine Sportart. Das Faszinierende für mich besteht beim Tischtennis in der Schnelligkeit. Das Spiel ist extrem schnell. Kein Ballwechsel, kein Schlag ist gleich und es ist unglaublich facettenreich.

 

Mittlerweile ist Tischtennis für Dich auch Dein Beruf. Unter Para-SportlerInnen gibt es nur wenige, die als Vollprofi aktiv sind. Wie kam es bei Dir dazu?

 

Tom Schmidberger: Glück, Zufall und die Einstellung. Es war so, dass ich während des Studiums beschloss, dass das Studium für die Karriere nach dem Sport sein soll. Ich konnte mir nicht vorstellen, direkt einen Job anzunehmen. Also setze ich alles auf eine Karte und bestritt diesen Weg trotz Behinderung und „nur“ Rollstuhlsport. Daraufhin weihte ich alle Menschen, mit denen ich zusammenarbeitete, ein. Viele erklärten mich für verrückt, aber es ist mein Ding. Ich habe immer schon mein Ding gemacht.

Gerade den Anfang stelle ich mir dabei schwierig vor.

 

Tom Schmidberger: Am Anfang musste ich mit vielen Partnern sprechen, weil ich auf jeden Cent angewiesen war. Von meinen Eltern hätte ich die Unterstützung bekommen, die ich aber nicht annehmen wollte, weil ich es selber schaffen wollte. Dafür musste ich zunächst aber auch einige Abstriche machen. Es ist nicht so, dass ich am Anfang einen großen Spielraum zur Verfügung hatte. Dennoch blieb ich dran und irgendwann hatte ich alle überzeugt. So kamen immer mehr Partner, sodass ich nach dem Studium nicht direkt auf Jobsuche gehen musste. Erfolge vereinfachen die Partnersuche dabei natürlich – das können wir offen sagen. Aber man ist auch nicht von Anfang an erfolgreich. An manchen Stellen hatte ich einfach Glück und war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das braucht man auch ein wenig – ein bisschen Karma kommt dabei zurück, dass man sich verdient hat (lacht).

 

Da klingt ein unbändiger Ehrgeiz und Wille heraus. Gibt es bei Dir den Punkt, dass Du zu ehrgeizig bist?

 

Tom Schmidberger: Ja, den gibt es sehr regelmäßig (lacht). Das, was anderen manchmal fehlt, habe ich bestimmt zu viel – zumindest, was den Ehrgeiz betrifft (lacht). Aber so bin ich eben, niemand ist perfekt und ich bin oftmals überehrgeizig. Ich bin ein Hundertprozentmensch: entweder ich mache es ganz oder gar nicht.

 

Das Motto wirst Du auch bei Deinem Studium gehabt haben. Wie ist Dein Fazit dazu?

Tom Schmidberger: Ich studierte Sportökonomie und schaffte es „nur“ bis zum Bachelor, worauf ich aber schon stolz bin. Jeder Medizinstudierende lacht vermutlich über die Umfänge und die Komplexheit der einzelnen Fächer. Ein Medizinstudium geht viel länger und ist viel anspruchsvoll und tiefgehender. Ich hatte im Rahmen des Sportstudiums auch ein wenig Sportmedizin und schnaufte da schon über die Umfänge. Medizinstudierende sind für mich daher unfassbare Menschen – ich wäre hoffnungsvoll überfordert (lacht).

 

So wie für mich LeistungssportlerInnen unfassbare Menschen sind. Im September gingen die paralympischen Spiele in Tokio zu Ende, die aufgrund der Pandemie gänzlich anders verlaufen sind, als ursprünglich gedacht. Wie hast Du die Spiele in Tokio erlebt?

 

Tom Schmidberger: Rückblickend war es eine tolle Erfahrung, wie immer bei Paralympics. Man muss aber sagen, dass es aufgrund der Pandemie anders war, als das, was wir kannten. Anstrengend war es z. B. nach dem Wettkampf, wenn man aus der Puste ist, aber direkt wieder die Maske aufzusetzen muss. In der Kombination mit der hohen Luftfeuchtigkeit war es nicht immer schön. Insgesamt haben die Japaner es sehr gut gemacht. Wir konnten uns trotz Hygienemaßnahmen gut auf unseren Wettkampf konzentrieren.

Aus Tokio hast Du – wie schon aus Rio 2016 – zwei Silbermedaillen mitgebracht. Eine hast Du in der Einzelkonkurrenz, eine im Teamwettbewerb mit Thomas Brüchle gewonnen. Ist jetzt der Ehrgeiz gestillt und bist Du mit Deinem Abschneiden zufrieden?

 

Tom Schmidberger: Nein, ganz und gar nicht. Die beiden Silbermedaillen waren nicht das, was ich mir vorgenommen hatte. Von daher bin ich sehr froh, dass ich nur drei Jahre warten muss, bis die nächsten Spiele in Paris stattfinden.

 

Deine Ausrichtung und Dein Fokus gehen nun also vollkommen in Richtung Paris 2024.

 

Tom Schmidberger: Nächstes Jahr haben wir noch eine Weltmeisterschaft, die wir natürlich mitnehmen. Als Sportler denke ich aber in dem Vierjahresrhythmus zwischen den Spielen. Für mich ist ganz klar, dass ich noch besser und noch fitter 2024 an den Start gehen kann. Bis dahin kann ich noch an einigen Rädchen schrauben, um perfekt vorbereitet zu sein. Dafür ist man Sportler.

 

An welchen Rädchen möchtest und musst Du denn noch schrauben, um das Ziel der Goldmedaille zu erreichen?

 

Tom Schmidberger: Für Tokio hatte ich nicht die perfekte Vorbereitung, dafür konnte aber niemand etwas: meine Freundin hatte sich kurz vor dem Abflug das Schienbein gebrochen. Eigentlich sollte sie mir aber in der Zeit den Rücken freihalten, jetzt pendelte ich jedoch zwischen Krankenhaus, Wohnung und Trainingshalle. Auf solche Eventualitäten werden wir uns besser einstellen.

 

Aber darüber hinaus wirst Du sicherlich auch noch Veränderungen vornehmen, oder?

 

Tom Schmidberger: Auch spielerisch werden wir Veränderungen vornehmen: in der ersten Trainingseinheit nach Tokio spielte ich schon mit einem anderen Schläger. Vielleicht sind dabei noch entscheidende Prozente zu holen. Es wird alles hinterfragt. Passt das System, passt das Betreuerteam noch? Bis Paris ist es mein Job, jedes mögliche Prozent zu gewinnen und meinen Job werde ich bestmöglich erfüllen.

„An manchen Stellen hatte ich einfach Glück und war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

~ Auf seinem Weg in die Weltspitze half Tom Schmidberger nicht nur sein Ehrgeiz.

Dafür drücke ich Dir ganz fest die Daumen! Abseits des Tischtennis interessierst Du Dich für so ziemlich jede andere Sportart. Welche ist dabei die spannendste für Dich?

 

Tom Schmidberger: Es klingt verrückt, aber Tischtennis ist nicht meine Lieblingssportart. Meine absolut favorisierte Sportart ist Eishockey. Die Sportart ist noch schneller, noch rasanter und vor allem körperbetonter als Tischtennis. Eishockey fasziniert mich so sehr, dass die Termine auch mein gesamtes Freizeitleben bestimmen. Manchmal leidet auch meine Beziehung darunter (lacht).

 

Da liegt es nahe, dass Du der Düsseldorfer EG die Daumen drückst, oder?

 

Tom Schmidberger: Ich komme ursprünglich aus Bayern, sodass ich es nicht mit der Düsseldorfer EG halte, aber da ist mir hier auch niemand böse. Auch abseits vom Eishockey bin ich sehr heimatverbunden und vermisse hier in Düsseldorf immer wieder meine Familie. Die bayerische Kultur, die Leute, die Lebenseinstellungen ist in Bayern einfach eine andere als in Düsseldorf. Das fehlt hier einfach.

 

Dein Lebensmotto lautet: „Auch aus Steinen, die man einem in den Weg legt, kann man etwas Schönes bauen.“ Welche Steine werden Dir in den Weg gelegt und was hast Du daraus schon alles gebaut?

 

Tom Schmidberger: Dieser Spruch ist ein bisschen doppeldeutig. Zum einen können diese Steine Rückschläge oder große Hürden sein, die man mit kreativen Lösungen überwinden muss. Zum anderen ist eines meiner größten Hobbys, Modelle der Legotechnik zu bauen. Damit komme ich wieder herunter, kann mich herunterfahren und beschäftige mich mit tausenden von kleinen Steinen, mit denen man großartige Bauwerke erschaffen kann. In Bayern hatte ich ein eigenes Hobbyzimmer, sodass ich hier in Düsseldorf ein kleines Platzproblem habe (lacht).

 

Vielleicht lässt sich das irgendwie noch lösen… Für Paris und den Weg dahin wünsche ich Dir alle Gute – die Daumen sind gedrückt.

 

Das Interview führte Katharina Tscheu.